Dr. Manfred Ziegler
CEO, Gründer und Gesellschafter
der conzima GmbH.
Willkommen in der digitalen Diaspora
Intelligente Algorithmen sind schon jetzt in weiten Teile unseres Alltags zu finden. Als sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) stehen sie uns im privaten und öffentlichen Leben, aber auch in der Wirtschaft, bei nahezu allen Tätigkeiten zur Seite. Dabei hat ihre Ära gerade erst begonnen. Höchste Zeit, darüber nachzudenken, welche ethischen Regeln KI benötigt, damit wir den intelligenten Algorithmen in naher Zukunft nicht schutzlos ausgeliefert sind.
Künstliche Intelligenz (KI) ist das Allheilmittel für alle Bereiche der Gesellschaft und der Industrie! Zumindest scheint mir dies der Tenor vieler Publikationen zum Thema zu sein. Autonomes Fahren, effizientere Arbeitsprozesse, eine ressourcenschonende Produktion, Energieeinsparung, humanoide Roboter in der Pflege, schnellerer Zugang zu relevanten Informationen: Intelligente Algorithmen durchdringen nach und nach jeden Lebensbereich – auch in sensiblen und kritischen Segmenten, wie in der Medizin oder in der Stromversorgung, kommen sie zum Einsatz. Und je stärker sie dies tun, desto wichtiger wird die Frage nach den ethischen Regeln, denen eine Künstliche Intelligenz folgt. Anderenfalls droht, dass sich dieser prinzipiell sinnvolle technologische Fortschritt zu einem ungeregelten Moloch verwandelt, der die freie Entscheidung der Nutzer unmöglich macht.
Um dies zu verhindern muss grundsätzlich die dienende Funktion einer KI im Mittelpunkt jeder Entwicklung stehen. Ihr Einsatz darf nicht dazu führen, dass Zwänge entstehen, etablierte ethische Normen des Zusammenlebens außer Kraft zu setzen oder positive Entwicklungen zu beschränken. Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Privatheit sind Grundwerte, deren Integrität von einem KI-System zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt werden darf. Eine Unterwerfung eines Individuums oder auch eines Unternehmens muss ausgeschlossen sein.
Doch viele der mittlerweile alltäglich genutzten Anwendungen steuern in diese Richtung. Sei es, weil Konzerne wie Amazon, Alphabet oder Meta längst zu Herren über eine gewaltige Menge höchst privater sowie wirtschaftlich relevanter Daten geworden sind. Sei es, weil staatlich gelenkte chinesische Unternehmen weltweit eine führende Position bei der Entwicklung neuer KI-Systeme einnehmen. Beide Fakten sollten uns beunruhigen: Der Erste, weil kaum jemand nachvollziehen kann, wie die KIs der US-Konzerne diese Informationen nutzen. Zweiteres, weil die chinesische Regierung nicht unbedingt dafür bekannt ist, unsere Werte zu teilen; das System des Social Scoring, das vermutlich schon bald für die meisten Chinesen zum Alltag gehört, ist ohne den Einsatz von KI nicht denkbar, um nur ein Beispiel zu nennen. Im Vergleich dazu ist die Schufa Bewertung höchstens ein nettes Spielzeug. Und nicht wenige Staaten liebäugeln mittlerweile mit diesen Überwachungsmöglichkeiten – nicht nur autoritär geführte.
Doch müssen wir gar nicht nach China schauen, um ethisch Bedenkliches zu finden. So hat Amazons auf KI basierendes Bewerbungstool über Jahre hinweg Frauen benachteiligt. Auch bei der automatischen Vergabe von Kreditzusagen oder Versicherungspolicen ist immer wieder diskriminierendes Verhalten der Algorithmen zu beobachten. An dieser Stelle will ich eines betonen: KI-Systeme neigen nicht von sich aus zu dominierendem oder diskriminierendem Verhalten. Wenn deren Ergebnisse oder Vorhersagen dazu führen, Individuen daran zu hindern, ihre rechtmäßige Persönlichkeit zu etablieren, sie negativ zu beeinflussen und dadurch ihre Fähigkeit, auf Ressourcen zuzugreifen, beeinflusst oder beeinträchtigt wird, so ist das auf falsch gesetzte Parameter zurückzuführen – also auf die Menschen, die das System konzipiert haben.
Bereits 2019 haben Microsoft und andere Branchengrößen daher darauf hingewiesen, dass der Missbrauch von KI-Algorithmen oder deren schlechte Gestaltung ein ethisches und rechtliches Risiko für die anwendenden Unternehmen darstellt – und daher auch wirtschaftliche Auswirkungen haben kann. Im gleichen Jahr hat übrigens die EU ethische Leitlinien für vertrauenswürdige KI herausgebracht und Themen identifiziert, die die Gestaltung von ethischer KI dominieren werden. Die zentralen Forderungen dabei sind:
Bei der Entscheidung für den Einsatz einer KI sollten Unternehmer meines Erachtens darauf achten, dass das System diese Kriterien ohne Abstriche einhält. Im Idealfall trägt das Wunschsystem auch das Qualitätssiegel des KI Bundesverbands. Dessen Zertifizierungsregeln basieren unter anderem auf den genannten Leitlinien der EU. Und sie sollten ihre Macht dazu nutzen, dass verbindliche ethische Regelungen kodifiziert werden – im Idealfall mit globaler Reichweite.
In immer mehr Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft wird KI in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle einnehmen. Damit dies zum allgemeinen Nutzen geschieht, müssen ethische Regeln für diese Systeme definiert sein, die Diskriminierung oder freiheitliche Einschränkungen ausschließen. Einen Rahmen dazu hat die EU aufgestellt. Das Gütesiegel des Bundeverbands KI basiert auf diesem Rahmen. Ziel sollte es aber sein, global geltende Regeln aufzustellen.
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