Dr. Manfred Ziegler
CEO, Gründer und Gesellschafter
der conzima GmbH.
Gemeinwohl: Der Abschied vom reinen Profit
Wer sich heute durch Stellenausschreibungen klickt, bekommt manchmal den Eindruck, er sei aus Versehen auf der Website eines Wellness-Hotels gelandet. Da ist von Yoga-Stunden die Rede oder von Kühlschränken voller kostenloser Smoothies. Snacks und Mittagessen sind inklusive, genauso wie der Fitnessraum, wöchentliche Massagen sowie das Sabbatical, um sich selbst zu finden. Ist es das, worauf Arbeitnehmer heutzutage Wert legen? Können Firmen nur noch mit solchen Angeboten Mitarbeiter gewinnen?
Etablierte Strukturen zu hinterfragen, tut gut. Das merken mein Team von conzima und ich immer wieder, wenn wir Unternehmen bei der Restrukturierung unterstützen. Aber man muss nicht warten bis es kriselt, um den Status Quo zu analysieren, ganz im Gegenteil – Stillstand ist Rückschritt! Das gilt ganz besonders heutzutage, wo sich die Welt dank Digitalisierung und Globalisierung permanent im Wandel befindet. Und es gilt insbesondere für den Arbeitsmarkt, auf dem die Rollen in den vergangenen Jahren getauscht wurden: Heute sind es nicht mehr die Arbeitgeber, die sagen, wo es lang geht, sondern Angestellte und zukünftige Mitarbeiter. Sie sind diejenigen, die entscheiden können, an welche Firma sie sich binden wollen und für wie lange. Und das auf globaler Ebene.
Das verstärkt den Konkurrenzkampf der Arbeitgeber – und sorgt für die oben genannten Stellenanzeigen. Mit Incentives versuchen Arbeitgeber, sich attraktiver für (potenzielle) Mitarbeiter zu machen. Abgeguckt haben sie sich das von den großen Playern aus dem Silicon Valley. Google, zum Beispiel, hat Büros mit Rutschen, Sofas, Gocarts und dem ein oder anderen Bällebad. Facebook gibt in Restaurants kostenlose Mahlzeiten aus und stellt Fahrräder bereit, damit Mitarbeiter über den Firmen-Campus radeln können.
Interessant sind die Gründe, weshalb Firmen solche Incentives einführen: Sie haben erkannt, dass sie ganzheitlich denken müssen! Eine Arbeitswelt, die permanent im Wandel ist, erfordert permanentes Lernen. Sie erfordert Mitarbeiter, die wissbegierig sind und offen für Neues.
Und genau da kommen Incentives ins Spiel: Sie machen das Unternehmen nicht nur attraktiver. Gibt es kostenlose Mahlzeiten, Snacks und Smoothies, müssen Mitarbeiter sich keine Gedanken um ihr Mittagessen machen. Stattdessen können sie sich auf ihre Arbeit fokussieren. Aktivitäten wie Rutschen, Yoga-Stunden und Tischtennis-Matches dienen der Abwechslung und fördern bei Mitarbeitern genau die Fähigkeiten, die in Zukunft immer stärker gefragt sind: Kreativität, Leistungsbereitschaft, eine schnelle Auffassungsgabe und Organisationsvermögen. Man kennt das von sich selbst, nach einem Spaziergang in der Mittagspause kommt man einfach frischer und aufgeweckter an den Arbeitsplatz zurück. Wochenenden, Urlaube und Sabbaticals folgen dem gleichen Prinzip, nur größer.
Um Mitarbeitern auch ohne Sabbatical zu ermöglichen, ihre Fähigkeiten optimal einsetzen zu können, gestalten Google, Facebook und Co. das Arbeiten sehr flexibel: Es gibt weder feste Arbeitszeiten noch feste Arbeitsplätze. Mitarbeiter können frei einteilen, wann und wo sie arbeiten möchten. Beides ist übrigens auch unter den Top fünf der Wünsche von Berufstätigen in Deutschland, wie eine Umfrage des Branchenverbands Bitkom 2019 deutlich macht. Dass davon nicht nur Arbeitnehmer profitieren, sondern auch Arbeitgeber, zeigt eine neue Studie der DAK: Aufgrund der Corona-Pandemie haben über 50 Prozent der Betriebe in Deutschland die Möglichkeit, über digitale Arbeitsmethoden im Homeoffice zu arbeiten, in den vergangenen Monaten sprunghaft ausgeweitet. Das hat sich ausgezahlt: Fast jeder vierte Mitarbeiter sagt laut Studie von sich, im Homeoffice produktiver arbeiten zu können. Mitarbeiter fühlen sich zudem weniger gestresst, wovon Arbeitgeber sowohl kurzfristig als auch langfristig profitieren.
Eine Studie der Jobbörse Stepstone wiederum hat ergeben, dass Firmen mit flachen Hierarchien von ihren Mitarbeitern als deutlich innovativer wahrgenommen werden.
Das zeigt: Beim genaueren Hinsehen kann man sich vom Silicon Valley viel mehr abschauen, als Smoothies, Snacks und Sabbaticals. Das heißt natürlich nicht, dass wir all das auch übernehmen müssen. Vielmehr möchte ich dazu inspirieren, die eigenen Arbeitsstrukturen immer wieder zu überdenken und zu hinterfragen. Denn nur, wenn wir selbst offen für Neues sind und permanent Lernen, können wir das als Arbeitgeber auch entsprechend für unsere Mitarbeiter etablieren. Das ist für mich modernes Arbeiten – und die Grundvoraussetzung dafür, als Firma mit dem Wandel der Zeit zu gehen, um auch in 20 Jahren noch erfolgreich am Markt zu sein.
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