Dr. Manfred Ziegler
CEO, Gründer und Gesellschafter
der conzima GmbH.
Wer im Augenblick lauthals verkündet, dass die Maßnahmen der Corona-Pandemie der Grund für den Abschwung der deutschen Wirtschaft sind oder dafür, dass die Städte veröden, muss mit geschlossenen Augen durch die Jahre vor 2020 gewandelt sein. Denn die strukturelle Disruption, die Industrie und Handel zwingt, sich neu zu justieren, ist durch die Pandemie allenfalls beschleunigt worden. Industrie 4.0 oder Automatisierung sorgen bereits seit einigen Jahren dafür, dass in nahezu allen Branchen, Prozesse komplett neu gedacht werden müssen, was oftmals zu Lasten der einfachen Arbeitsplätze geht. Im Automotivesektor, der in vielen Industrienationen immer noch eine Schlüsselindustrie darstellt, verstärkt die Verkehrswende diese Tendenzen.
Auch Amazon und Co. vermelden nicht erst seit den Shutdowns ein immenses Wachstum, das vor allem dem stationären Handel in den Städten zu schaffen macht. Einen Ansatz, wie eine Neuregulierung von Unterstützungsmaßnahmen diesem Niedergang entgegenwirken könnte, werde ich im nächsten Blogpost skizzieren. Corona ist eher ein Beschleuniger als ein Auslöser.
Unverzichtbar ist aber meines Erachtens eine Neujustierung marktwirtschaftlicher Strukturen, um den Abschwung zu stoppen und möglicherweise das zarte Pflänzlein eines Wirtschaftswunders aufkeimen zu lassen. Vom Stichwort Wirtschaftswunder ist der Weg zur Sozialen Marktwirtschaft kurz. Deren ursprüngliche Leitplanken „soziale Sicherheit“, „soziale Gerechtigkeit“ und „gesicherte Freiheit“ sind meines Erachtens auch heute noch geeignet, einen Weg zwischen freier Marktwirtschaft und Planwirtschaft zu finden. Es steht jedoch dringend an, einen neuen Balance-Punkt zwischen unregulierten und staatlich gelenkten Märkten zu finden, um wieder einen „Wohlstand für alle“ möglich zu machen, um Ludwig Erhard zu zitieren. Denn hier ist die Waagschale in den vergangene Jahren stark ins Kippen geraten. Corona hat auch diesen Trend nochmals beschleunigt und das nicht nur in Deutschland. Unzweifelhaft müssen bei einer neuen Sozialen Marktwirtschaft Prämissen der neuen Arbeitswelt mit eingerechnet werden.
Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass Automatisierung und Industrie 4.0 uns zu einem Punkt bringen, an dem es weniger Arbeit gibt, als Menschen, die zu Arbeiten bereit sind. Der Faktor „soziale Sicherheit“ muss daher meines Erachtens in Zukunft deutlich mehr Gewicht erhalten, zumal ja auch der demographische Wandel das aktuelle System vor neue Herausforderungen stellt. Den sicherlich radikalen Gedanken eines bedingungslosen Grundeinkommens habe ich bereits vor einiger Zeit hier in den Ring geworfen.
Für die Frage der Finanzierbarkeit einer solchen Umstrukturierung ist es entscheidend, nicht nur in zukunftsträchtige Technologien und Innovationen zu investieren, sondern beispielsweise durch eine Neuausrichtung des Bildungssystems eine solide Basis zu schaffen, damit die nächste Generation auf eine digitalisierte Arbeitswelt vorbereitet ist. Denn ein Land, das nicht sonderlich mit Rohstoffen gesegnet ist, muss eben mit seinem Know-how seine Position in einem globalen Umfeld erarbeiten. Fachkräfte sind daher auch in Zukunft das beste Mittel, den Industriestandort Deutschland zu sichern.
Staat und Wirtschaft sind dabei in gleichem Maße gefordert. Beide müssen einen bedeutenden Teil der Ernte, die sie aus beinahe zehn Jahren Aufschwung geerntet haben, sinnvoll ausbringen. Und es braucht eine neue, breit aufgestellte Gründungsoffensive, damit der Mittelstand – von der Bäckerei bis hin zum digitalen Start-up – weiterhin das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bleibt und in der Lage ist, gut bezahlte und sichere Jobs zu schaffen. Dazu muss aber die Angststarre, in die uns Corona an vielen Stellen versetzt hat, überwunden werden. Denn: Wer jetzt die Schalthebel bedient, um eine Perspektive für die Zeit nach der Pandemie zu entwickeln, wird einen positiven gesamtgesellschaftlichen Impuls geben.
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